Mittwoch, 29. Oktober 2008

Krisensex

Von der sozialen Pflicht zur sexuellen Lust in Zeiten großer Krisen


In der Krise will man stimulieren, zum Handeln anreizen, um bedrohte Systeme zu stützen. Das ist normal, vielleicht auch selbstverständlich, wenn man bedenkt, dass ein jedes System (wie Familie, Gruppe, Nachbarschaft, Verein, Gemeinde, Staat und Gesellschaft, Betriebe und auch die Wirtschaft) nur dadurch zustande kommt und auch nur bestehen kann, dass die hieran beteiligten einzelnen Personen am vorgesehenen Ort zur vorgesehenen Zeit das Vorgesehene tun oder auch unterlassen. Wie die das System begründende und das Verhalten der Einzelnen bestimmende Information wirkt, ist dabei gleichgültig. Kriselt es im System, dann weil aus irgendwelchen Gründen die Beteiligten nicht am vorgesehenen Ort zur vorgesehenen Zeit das Vorgesehene tun oder unterlassen. Will ich das System stützen, muss ich die sich so zurückhaltenden Betroffenen überzeugen, sich doch wie vorgesehen zu verhalten. Manche Politiker meinen nun, die Menschen endlich zu dem von ihnen (den Politikern) empfundenen Richtigen durch finanzielle Anreize zu veranlassen, zumal in solchen Situationen haushälterisch das Geld besonders locker sitzt, wie Häuser zu dämmen oder den CO2-Ausstoß zu verringern. Das verrät wenig Fähigkeit zur Einsicht in die systematischen Zusammenhänge. Wenn der Einzelne mit seinen die Systeme bildenden Beiträgen zurückhält oder sich gar gegensätzlich dazu verhält, stimuliere ich ihn umso mehr, je elementarer, das heißt im Hinblick auf seine Bedürfnisse, ich ihn reize. Elementar bedeutet dabei zudem Vereinzelung der Wahrnehmung, nicht die Idee, sondern das individuelle Motiv ist angesprochen. Somit greifen solche Stimuli am meisten, die unmittelbar am Bestrafungs- und Belohnungssystem eines jeden Einzelnen ansetzen. Das alles ist bekannt und so werden Menschen seit je manipuliert. Das ändert nichts indessen daran, dass ich auch in guter Absicht -mir also anmaße das Wohl anderer zu bestimmen- nicht anders vorgehen kann. Diagnostiziere ich den Niedergang des Systems als Folge der schlechten Stimmung, sei es Mutlosigkeit, Furcht oder Lähmung, so müssen meine Maßnahmen auf diese Stimmung zielen. Hier aber gibt es keine Zweifel, dass der Mensch von Natur in der Weise, wie seine Stimmungen funktionieren weitgehend von Natur aus festgelegt ist und dass es dort Zusammenhänge gibt, denen unmittelbar sich keiner zu entziehen vermag. Wer hungert wartet ab und radikalisiert sich dann, das Recht weicht vor dem Raub des Hungrigen zurück. Daher gibt es keine Systembildung ohne geordnete Ernährungslage. Nicht weniger stark beeinflusst unsere Sexualität unser Verhalten, zumal wenn sie sich auf konkrete Ziele richtet. Nahezu alle Kulturen bemühen sich, diesen Trieb zu zähmen und einzudämmen. Würde seine freie und ungehinderte Entfaltung, wie man es bei manchen Primaten kennt, doch die Einzelnen weitgehend unfähig machen, differenzierte Systeme zu begründen. Die Sexualität ist wie ein im Tiefsten des Menschen brennendes Feuer, das der Zähmung bedarf und gehütet werden muss, bevor wir Manches von ihm nach außen dringen lassen. Dazu liegen viele Normen, sprich Anweisungen wie sich zu verhalten, vor. Dafür dass solche Normen auch bei uns wirken, wird schon in frühester Kindheit gesorgt, wenn sie in Form sogenannter Werte in unsere Hardware geritzt werden. Deren Stärke und trotz aller Aufweichungen fortbestehenden Konsistenz aber ermöglicht es mir, wirkungsvoll auf Menschen einzuwirken. Ich muss mir des Einflusses nur bewusst werden. Ein jeder Mensch kämpft hin und wieder mit seinen sexuellen Begierden, Phantasien und Vorstellungen, mit dieser oder diesem weit mehr Kontakt zu haben, als nur mit ihr oder ihm zu reden. Ein jeder weiß, wie sich unsere Stimmung schlagartig zu ändern vermag, je nach Einschätzung der Chance der Erfüllung solcher Wünsche. Kann ich diese Ebene pauschal, das heißt durch eine Maßnahme für ganz Viele, beeinflussen, dann habe ich eine Waffe gegen jede Krise gewonnen, die allein wegen Mutlosigkeit und Furcht entsteht. Die Belohnung von Selbstmordattentäter durch himmlische sexuelle Freuden bezeugt des Argumentes Kraft. Ich muss kein Geld ausgeben, um Häuser vermehrt zu dämmen, lasst uns in der Krise die Sexualmoral lockern, um die Leute zu berechtigen, dem einen oder anderen Wunsch nachzugeben, um wieder Mut zu schöpfen. Ein jeder findet einen Lichtblick und schon hebt sich die ganze Stimmung. Die Krise berechtigt und verpflichtet uns zum Krisensex, ist die Krise vorbei, dann sind wir wieder treu. Zuvor aber wird manches Bett gewechselt in der besten Absicht, dem Ganzen zu dienen und die leidenden Systeme wieder zu stützen. Das wäre ein Konjunkturprogramm der ganz anderen Art. Kraft wächst nur aus Freude, Kraft aber bedarf es, wieder damit fortzufahren, am vorgesehenen Ort zur vorgesehenen Zeit das Vorgesehene zu tun.

Keine Kommentare: